Rezension zu Herrndorfs „Tschick“ Teil 2

Diese Rezension ist Teil eines interaktiven Lesezirkels in Kooperation mit dem schmerzwach-Blog u.A. Für Part 1 der Rezension, bitte diesem Link folgen!

Wer bin ich und hilf mir, mich zu finden

Maik vor seiner ersten großen Reise

Die Seiten 50-100 standen in dieser Woche auf dem Programm. Um ehrlich zu sein, habe ich das Buch bereits durchgelesen, aber ich möchte dennoch in 50-Seiten Abschnitten darüber reden, denn so scheint mir der Raum für das Buch angemessen zu sein.

Was erfahren wir in den nächsten 50 Seiten? Während wir in den ersten 50 Seiten die Ausgangssituation kennengelernt haben: Maik im Krankenhaus, Maik auf der Polizei, irgendwas muss gewesen sein und er beginnt, zu erzählen, sind wir jetzt sogesagt mittendrin.

Tschick ist in Maiks Klasse, sie bekommen ihre Mathearbeiten zurück und da wird deutlich, dass der Überflieger Tschick ein ganz komischer Bengel zu sein scheint, der in der ersten Arbeit eine Sechs bekommt, in der zweiten allerdings mal eben eine zwei. Tschick kommt weiterhin regelmäßig mit einer Alkoholfahne in die Schule und wird von den übrigen Schülern gemieden. Der Fokus der nächsten 20 Seiten etwa wird auf Maik verlagert. Tatjana, das Mädchen, in das Maik sich verliebt hat, das ihn aber wie Luft behandelt, feiert in den Sommerferien ihre Geburtstagsparty. Drei Monate umschreiben diese Seiten, in denen Maik fest davon überzeugt ist, eingeladen zu werden und das Hammergeschenk hat: Er zeichnet ein riesiges Bild für Tatjana mit dem Motiv ihrer Lieblingssängerin Beyonce. Doch als der letzte Tag des Schuljahres kommt, muss Maik knallhart bemerken, dass er bisher nur in einer Scheinwelt gelebt hat, in der er mit Tatjanas Onkel fachsimpelt und ein gerngesehener Gast ist. Er bekommt, wie drei weitere Jungen seiner Klasse, so auch Tschick, keine Einladung zu der Feier. Maik wird durch dieses Ereignis in die Realität zurück geholt und ist tottraurig.

Ein weiterer Schock wartet auf ihn zuhause. Sein Elternhaus, das nach außen hin gutgesittet und reich erscheint, ist innerlich zerbrochen wie eine gesprungene Teetasse. Seine Mutter verabschiedet sich zur „Beautyfarm“, die eigentlich eine Entzugsklinik ist, und sein Vater sagt ihm gerade 5 Minuten nach ihrer Abreise, er müsse dringend auf eine unvorhergesehene Geschäftsreise und zieht mit der Assistentin an der Taille umschlungen ab. Maik weiß natürlich genau, was das zu bedeuten hat und durchlebt eine Mischung aus Trauer und Wut aufgrund des Zerbrechens seiner Familie und auch Freude. Sein Vater hat ihm 200 Euro hinterlassen und er kann die ganze Sommerferien allein verbringen, zumindest die ersten 2 Wochen.

Doch alles ändert sich als Tschick ihn besuchen kommt, der gestohlene Lada auf die Auffahrt fährt und Maiks Leben einmal komplett umgerempelt wird. Tschick überredet ihn, zu Tatjanas Party zu fahren und das gezeichnete Bild einfach abzugeben und am Ende planen beide, in die Walachei zu reisen – wo auch immer das auch ist.

Diese 50 Seiten triefen vor weiterführender Exposition und Charakterisierung. Maik wird in seiner Unsicherheit, seiner Verfremdung der Welt und seiner Vorsicht gezeichnet. Dabei fällt es manchem Leser vielleicht schwer, diesen durchweg bis hierhin unstringenten Charakter ganz für voll zu nehmen. Warum schmeißt er sich nun heulend auf den Boden?, sind Fragen, die beim Lesen auftauchen und sicherlich nicht auf ungenauen Lesegenuss zurückzuführen sind. Es ist eher die Komposition des Charakters, die mit Sicherheit interressant und gelungen, aber zu einer gewissen Weise auch konfus ist. Eine gute Mischung, wenn man bedenkt, dass man zu diesem Zeitpunkt des Lesens noch unbedingt weiterkommen möchte und will, dass die Reise beginnt.

Mit Maik und Tschick gegenüber ist eine konträre Figurenkonstellation gegeben. Die beiden sind so unterschiedlich Bohnensuppe und Currywurst. Aber dennoch haben sie eine Anziehungskraft, jeder die eigenen Stärken und Schwächen und sie verbindet etwas ganz Eigentümliches: Die Suche nach dem: Wer bin ich und hilf mir, mich zu finden!

Diese Frage, teilweise Aussage, lässt sich auf beide Figuren beziehen. Auch wenn Maik sicherlich im Zentrum des Geschehens steht, da der Roman aus seiner Sicht erzählt wird, ist auch Tschick in meinen Augen nicht allzu sehr gefestigt und bedarf einer Identifikationshilfe. Bei Maik bekommt der Leser das ganz deutlich mit. Er beschreibt, was ihn an sich selbst stört, beschreibt die – wie wir durch Tschick bemerken – falsche Realität, weiß in gewisser Art auch, dass er sich das alles nur einbildet. Tschick und die Tatsache, dass er mit ihm zur Party und später auch in die Walachei fahren wird, sind Zeichen seiner Emanzipation und Bewältigung häuslicher und pubertärer Probleme.

Sprachlich sind diese 50 Seiten meiner Meinung nach ein Hochgenuss, die besten des Buches. Der Leser wird vorangetrieben, Spaß beim Lesen ist keine Seltenheit.

Ich jedenfalls freue mich, die nächsten 50 Seiten bald resümieren zu dürfen.

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